Wolfgang Mücke

 

Z8 ©Alexandra Rojas

Foto: Alexandra Rojas Gonzáles, 2016

Wohnhaft in Frankfurt (Oder) seit 1954

 

 

 

„Was verbinden Sie mit dem Ferdinandshof, Erinnerungen, Anekdoten,

Ereignisse?“

 

„Wir sind 1954 von Chemnitz nach Frankfurt gezogen und zwar hier

oben in die Spiekerstraße.“

 

„Sie haben sozusagen in der Nachbarschaft gewohnt.“

 

„Da habe ich gewohnt, richtig. Aber das hat eigentlich nichts mit der

Schnapsbude zu tun. Aber ich bin dann hier in die Schule gegangen.“

 

„Wie hieß die Schule?“

 

„Früher hieß es Maxim-Gorki-Schule, jetzt ist es das Friedrichsgymnasium.

Mensch, wann ist denn Norbert hier Chef geworden? Das war ja erst

Bettfedernreinigung nach dem Krieg [nach Erstem Weltkrieg,

Anm. d. Verf.].“

„Haben Sie davon noch etwas mitgekriegt?“

 „Nein, nein, das war später. Dann war eine Mosterei drin und mein

Freund hat das Ding übernommen, die Schnapsbude. Ach so,

die Schnapsbude, die nach dem Krieg drin war, die gehörte einer

Familie Graßmann. Und den Sohn von Graßmanns, den kenne ich noch.

Der wohnt allerdings jetzt in Hamburg. Die haben es dann verkauft.“

 

„Wann war das, wissen Sie das noch?“

 „Nein, das weiß ich nicht mehr. Das müsste so in den 1960er Jahren

gewesen sein.“

 „Ich glaube bis 1968 war hier Produktion Schnaps, dann muss es

wahrscheinlich Ende der 1960er Jahre gewesen sein mit dem Verkauf.“

 

„Na ja, Graßmann hat ja schon Schnaps hergestellt. Das war der sog.

Kumpeltod – ach Quatsch, sie haben den Blauen Würger hergestellt.

Das war der Kristallwodka. Also den konntest du nur zum

Feueranmachen nehmen. Zum Trinken war er nicht geeignet.“

 

„Also so hochprozentig?“

 

„Nein, das war so ein Kratzschnaps. Den haben die Brenner zwar

getrunken, aber ja... Und das war Graßmann. Und dann hat die Stadt

das gekauft und sie haben es dann als Schnapsbude wiedereröffnet...“

 

„Sagen sie mir mal ganz kurz: Was ist denn eine Schnapsbude?“

 

„Na eine Schnapsherstellung. Hier wurde Schnaps hergestellt.“

 

„Also die Fabrik!“

 „Schnapsfabrik! Entschuldigung, ja ja die Schnapsbude in der Gubener.

Da wusste jeder, was gemeint ist. Entschuldigung, das konnten Sie nicht

wissen. Und da hat dann – (überlegt) jetzt weiß ich nicht ob die Stadt...

Nein die Stadt selber kann es nämlich nicht gemacht haben. Das war

dann VEB Bärensiegel Berlin, Betriebsteil 6, Frankfurt (Oder).

So nannten die sich dann hier. Die waren dann praktisch Betriebsteil

von Berlin. Berlin Bärensiegel ist Ihnen vielleicht ein Begriff? Das war

eine große Schnapsbude in Berlin. Die haben hauptsächlich Weinbrand

hergestellt, aber auch andere Schnäpse. Und Norbert ist hier dann als

Betriebsleiter eingesetzt worden, mein Kumpel Norbert Kubin.“

 „Der war ausgebildeter – wie nennen sich die Winzer hier? Weinhersteller?

Weinherstellung hat der ja studiert gehabt. Und er ist dann hier praktisch

als Betriebsleiter eingesetzt worden, Norbert. Aber wann das war, wenn

ich das wüsste...“

 „Ich habe hier gerade etwas von 1972 gelesen.“

 

„Das könnte sein, 1972, richtig. Da bin ich auf der Offiziersschule

gewesen bis 1974. Ja, und als ich wiederkam, war Norbert hier Chef,

Norbert Kubin. Und wie gesagt – sie haben dann braunen Schnaps

hergestellt, also Weinbrand. Den hier: Ich habe sogar noch original

Etiketten bei mir gefunden bei mir zu Hause [zeigt ein altes Flaschenetikett,

Anm. d. Verf.]. Der ist dann auf die Flaschen geklebt worden, das war

‚Stadtwappen‘. Das war ein ganz bekannter, ein guter Weinbrand, muss

ich dazusagen. Kein solcher Brenner! Können Sie behalten, wenn Sie

welche haben wollen [Flaschenetiketten, Anm. d. Verf.].“

 

„Das wäre toll, wow. So etwas müssen Sie doch ins Museum geben.“

 „Die Etiketten haben noch einen anderen Hintergrund, hier, die anderen

[tschechische Flaschenetiketten, Anm. d. Verf.]. Und Norbert war ja dann,

wie gesagt, Betriebsleiter und hat richtig was daraus gemacht aus

der Schnapsbude. Sie haben also Weinbrand hergestellt, ‚Stadtwappen‘ –

guten Weinbrand. Das war hier drüben unten drin, hier vorne war

die Waschhalle, da sind die Flaschen gewaschen worden, unten drin.

Und dann hatte er selber, mit einem anderen Kumpel von der Brauerei,

Tag und Nacht zusammen gesessen und haben dann noch einen

Kräuterschnaps entwickelt. Der hieß ‚Jägertropfen‘. Da hat er sich

allerdings nicht das Patent eintragen lassen, das hat dann sein Betrieb –

Bärensiegel in Berlin – gemacht, das Patent eintragen lassen und haben

einen Haufen Geld damit verdient. Das war der Jägertropfen. Na ja,

das war Norbert, er war nicht auf irgendwelche großen Sachen bedacht.“

 „Wie war das denn dann zur Wendezeit, also 1989? Wie ist es dann

weitergegangen?“

 

„Nein, ich muss ein bisschen mehr erzählen. Wie gesagt, er hat was

draus gemacht, aus der Bude dann hier. Hier waren die Büros, wie gesagt

[im ehem. Wohnhaus Gubener Str. 9, Anm. d. Verf.]. Hier unten drunter

ist ein Keller, den hat er ausgebaut mit Kamin und allem, mit beheizbaren

Sitzen und so. Da haben wir schön gefeiert drin, nebenbei gesagt.

Hier drüben war das Labor. Klaus Karzke war der Kraftfahrer vom

Norbert und seine Frau war hier Laborleiterin, die war hier drüben.

Sie mussten ja immer alles genau – wegen Lebensmittelgesetz und

so weiter, mussten sie ja alles sauber checken, dass das in Ordnung ist.

Und hier unten drunter, da drüben unten drunter war der Keller mit

dem Schnapsversand. Da lagen Fässer, ich glaube mit zehntausend

Litern oder so. Da ist der Schnaps gelagert worden, dass er dann reif –

richtig gut wurde.“

 „Und Norbert Kubin hatte eine sehr gute Verbindung, das werden

Sie nicht mehr kennen: Fips Schleifer sagt Ihnen nichts? Das war zu

DDR-Zeiten – ja wie sagt man – das super Tanzorchester der DDR.

Der war privat, der hat richtig Schmott gemacht mit seinem Orchester

und er ist öfter auch hier aufgetreten. Weil Norbert den gut kannte,

haben wir dann hier im Keller gefeiert. Und die wiederum hatten

Verbindungen zur tschechischen Brauerei Krušovice.“

 „Das gibt’s ja noch, das Bier.“

 

„Krušovice Pivovar gibt’s noch, das habe ich irgendwo mal stehen sehen, ja.

Und da haben wir ständig Austausch gemacht: Wir sind nach Krušovice

gefahren, die sind hierhergekommen mit ihrem Blasorchester. Da war

richtig Stimmung dann.“

 „Ja, so war die Verbindung. Und Norbert ist dann bis zur Wende hier

Betriebsleiter gewesen. Und wie war das dann? Nach der Wende hat

Bärensiegel den Laden zugemacht. Aber wann das war, das weiß ich nicht

mehr. Und Norbert ist dann in seine Heimat zurückgezogen, nach Görlitz

und da ist er dann auch gestorben, ein paar Jahre später. Er hat sich

totgesoffen, kann man ruhig so sagen, wie es ist.“

 „Hat der Ferdinandshof Denkmalwert für Sie?

 

„Na auf jeden Fall!“

 

„Warum?“

 

„Na ja, erst einmal ist es ein uraltes Gebäude aus – ich weiß nicht aus

welcher Zeit, wann die mal gebaut wurden. Bei Neumann oben erkennt

man noch die Achtzehnhundert und... Das war mal Bettfedernfabrik und

Bettfedernreinigung.“

 

„Ich glaube um 1840 ist die Brauerei und dann jedes Jahr um- und

ausgebaut worden.“

 „Ja ja, dann ist es Brauerei geworden erst einmal.“

 „Nein nein, das sollte man schon erhalten, solche alten Bauten. Es ist

eben die Frage: Wer erhält womit (lacht)?“

 „Was würden Sie sich wünschen?“

„Ich kann das eigentlich unterstützen, was Ihr wollt: studentisches

Wohnenhineinbringen. Mit Übernachtung, vielleicht eine Gaststätte mit

hineinbringen. Ja, ich weiß nicht, was man noch machen könnte...“

 „Es würde wieder Leben in die Stadt gebracht werden [Frau von

Herrn Mücke, Anm. d. Verf.]!“

 

„Inwiefern gehört das zu Frankfurt (Oder) für Sie?“

 

„Für alte Frankfurter ja. Die neuen kennen es nicht mehr,

weil es seit der Wende verfallen ist.“

 

„Was ist das Besondere für Sie, wo Sie sagen: Das ist so typisch

für dieses Objekt?“

 „(Lacht). Das ist eine gute Frage, ich nun, weil ich ja eine Verbindung

hatte zu Norbert und zur Schnapsbude als solches. Aber was

könnte man da sagen, was das besondere Verbindende ist.

Na auf jeden Fall sollte man solche alten Gebäude nicht einfach

abreißen, darum geht es ja. Aber hier ist ja so viel zu machen.“

 „Hier oben haben Graßmanns noch drin gewohnt. Dann als die

ausgezogen sind und das Gebäude hier verkauft hatten, war die

Steuerfahndung drin, zu DDR-Zeiten. Hier oben drin. Da war

draußen ein Schild dran, das weiß ich noch.“

 

„Herr Mücke, vielen Dank für das Interview.“

Flaschenetikett ©Flaschenetikett zum Weinbrand „Stadtwappen“; Geschenk Herr Mücke

 
Flaschenetikett zum Weinbrand „Stadtwappen“; Geschenk Herr Mücke