Foto: Alexandra Rojas Gonzáles, 2016
Geboren in Frankfurt (Oder)
„Was verbinden Sie mit dem Ferdinandshof, persönliche Erlebnisse,
Erinnerungen, Anekdoten?
„Ich bin hier unten zur Schule gegangen, in die Schule, die jetzt
Volkshochschule ist. Und so war im Prinzip dieser Bereich hier für
uns als Kinder Einzugsbereich, wenn man so will. Und woran ich mich
immer noch ganz deutlich erinnern kann, das war, wenn hier die
Schnapslieferungen kamen – also der Primasprit kam. Das waren
Tanklastzüge gewesen, die hier nicht auf den Hof draufgepasst
haben und sie sind immer rückwärts rangefahren und blockierten
dann meistens sogar die Gubener Straße. Und außerdem sind bei
diesem Umpumpen natürlich jede Menge Gase entwichen. Und als
Kind war das schon beeindruckend, wenn dann so eine Alkoholwolke
auf dich drauf zukam.
Ja dann – man wird älter, man wird erwachsen, als solches
irgendwann Familie. Und da brauchte man eine Wohnung und das
war zu DDR-Zeitenja nicht allzu leicht, so eine zu bekommen.
Man musste sehr lange warten. Da hatte ich mich auf die Suche
begeben und bin hier in der Gubener Straße fündig geworden
und habe dann in der Gubener Straße 22 gewohnt.
Und dann hattest Du natürlich damit auch sozusagen – ich sage
jetzt mal ‚Beziehungen’. Ich bin auf dem Bau groß geworden, ich bin
Stuckateurmeister und Restaurator. Und von der Seite gab’s das
geflügelte
Wort ‚Vierzehn Fuffzig’ und wenn das dann gefallen ist, dann hieß
es immer,
es ist eine Flasche Brauner, Goldkrone als solches. Goldkrone
war zu
DDR-Zeiten also auch irgendwo Goldstaub, so leicht hast du die
Sachen nicht bekommen. Oder Alten Wilthener (Weinbrand,
Anm. d. Verf.).“
„Goldkrone – und das wurde auch hier produziert?“
„Das wurde hier auch produziert.“
„Was war das, Weinbrand, Hochprozentiger?“
Na ja, sagen wir einfach Weinbrand, der es noch verhältnismäßig
bringt, wenn man jetzt nicht irgendwelchen Klaren oder etwas
Anderes... Dann hatte man diesen Weinbrand. Und beide
Schnapssorten, Blauer Würger, das war dann der Klare gewesen
und auch der Weinbrand, die Goldkrone, kosteten beide damals
einheitlich 14,50. Und wenn auf dem Bau dieser Begriff gefallen ist
‚Vierzehn Fuffzig’ oder ‚Blauer Würger’ wusste dann der Lehrling,
was er mitzubringen hatte (lacht). Und dann war es immer ganz gut,
wenn man nichts draußen bekommen hat und man eine Feier hatte,
dann solche Beziehungen hier zu haben und doch mal die eine oder
andere Kiste oder Flasche in der Richtung besorgen zu können.“
„Das war ein Warentausch. Eine Hand wäscht die andere.“
„Na ja, es gab ja zu DDR-Zeiten alles, du musstest bloß wissen wo.“
„Jetzt etwas Aktuelles: Hat der Ferdinandshof Denkmalwert für Sie?“
„Ja, deutlich. Ich sage jetzt erstens, ganz deutlich unterstrichen, auch
Industriebauten als solches sind Zeitzeugen in einer ganz
bestimmten Art. Wenn wir uns heute die Industriebauten angucken,
dann merken wir, wie weit diese verarmen. Unser gesamtes
Baugeschehen ist immer weiter drauf ausgerichtet auf ‚Do it yourself’,
also ‚mach’s alleine’. Oder mit der ganzen Frage Trockenbau:
Wir bauen nicht mehr, wir schlagen bloß noch Zelte auf. Also heute
Beerdigungsinstitut, morgen Geburtsklinik oder wie auch immer.
Und von der Seite haben gerade solche Ensembles in ihrer
gewachsenen Struktur eine ganz wichtige Bedeutung.
Das wichtigste hier z. B. an diesem Gelände ist im Endeffekt der
Schornstein für mich. Der ist um 1875 errichtet und ist der einzige
den wir noch haben, der noch viereckig ist.“
„Hier in Frankfurt oder in der Region?“
„Hier in Frankfurt, in der Region auch sozusagen. Die runden
Schornsteine kennt im Prinzip fast jeder, die sind nachher die
Weiterentwicklung. Das hat etwas mit der Windlast zu tun und
so weiter. Und von der Seite her sind natürlich solche Sachen
wirklich erhaltenswert.
„Was würden Sie sich für die Zukunft des Objekts wünschen?“
„Im Prinzip eine sinnvolle Nutzung. Egal ob jetzt als Wohnen für
Studenten. Mir würde ad hoc einfallen: Wir haben in Frankfurt
überhaupt keinen Kietz mehr. Und das wäre die Möglichkeit eines
Kietquartieres, ja. Mit Kietzläden drin und und und.
Ich sage jetzt mal Freiburg im Breisgau, sagt Euch das etwas?“
„Ja, ich kenne es gut.“
„Den Schlappen, ist der ein Begriff? Na also, bitte schön. Du hast
deine Holzbänke drin, du kriegst ein billiges Bier, du hast die
Musikinstrumente drin, da kannst du Klavierspielen. Dieses interne
Leben, dieses eben halt nicht ‚Sie wünschen bitte?‘, sondern ‚Ey,
reich mal ein Bier rüber!‘. Da kriegst du abends von Mutter oder
von Oma geschmierte Schmalzstullen. Das ist doch im Prinzip das,
was a) hier für Studenten wichtig ist und was aber im Prinzip auch
Kultur reinbringt in die ganze Sache.“
„Was wünschen Sie sich nicht?“
„Also was ich mir nicht wünsche ist, dass diese Sache, egal in welchen
Bereichen, einem Neubau weichen müsste, also Abriss. Ich wünsche
mir nicht, dass die Sache weiterhin praktisch mehr oder weniger still
steht oder brachliegt, wie auch immer. Und ich wünsche mir nicht,
dass Leute daran arbeiten, die keine Achtung vor dem Bestand haben.“
„Darum steht es ja zum Glück unter Denkmalschutz.“
„Genau“.
„Herr Müller, vielen Dank für das Interview.“