Ulrich-Christian Dinse
Foto: Alexandra Rojas Gonzáles, 2016
Wohnhaft in Frankfurt (Oder) seit 1967
„Was verbinden Sie mit dem Ferdinandshof, ihre persönlichen Erlebnisse,
Erinnerungen?“
„Ich habe viele Erinnerungen an den sogenannten Ferdinandshof. In den
Nachkriegsjahren ab 1945 waren auf diesem Gewerbehof sehr viele
unterschiedliche Firmen angesiedelt, unter anderem ein Arzneimittelkontor.
In dieser Firma arbeitete mein Großvater. Da wir ihn ab und zu von der Arbeit
abholten, konnte ich mich in diesen Räumen umsehen. Das sind meine
ältesten Erinnerungen aus der Zeit um 1960 oder kurz danach.“
„Wo war das Kontor untergebracht? Im Gebäudetrakt hinter dem Kesselhaus,
dem ehemaligen Brauhaus von Schindler?“
„Ja, ich denke, dass es in diesen Räumen untergebracht war. Ich kann mich
noch an den Hof und die großen Vorratsbehältnisse aus Glas erinnern,
in denen die Drogen und Pharmaka aufbewahrt wurden. Und ich weiß noch,
dass sehr viele andere Beschäftigte auf dem Hof herumliefen, es herrschte
ein reges Treiben. Es waren viele Firmen untergebracht, die aus der
ausgebrannten Innenstadt gekommen waren und hier ein neues Quartier
gefunden hatten. Zu dieser Zeit stand die Innenstadt ja noch am Anfang
ihres Wiederaufbaus.
Die nächsten Erinnerungen stammen aus einer ganz anderen Zeit:
Anfang der 1980er Jahre leitete ich in der Gubener Vorstadt einen Baubereich
des Reparaturbaubetriebes, damals VEB Bau benannt. Ich wurde vom
Betriebsleiter der dort ansässigen Spirituosenfabrik gebeten, mit meinen
Baubrigaden dringend notwendige Sanierungsarbeiten außerhalb eigentlicher
betrieblicher Planvorgaben nachzukommen. Es ging um die Aufrechterhaltung
der Betriebserlaubnis bzw. um dringenden Hygienevorschriften nachzukommen.
So arbeiteten wir dort mehrere Jahre zusätzlich nach Feierabend und fliesten
unter anderem die Produktionsräume in Keller und Erdgeschoss.
Es entwickelte sich ein sehr gutes, freundschaftliches Verhältnis und ich machte
für den Betriebsleiter weitere Planungen, z. B. hinsichtlich technologischer Vorgänge.
Da der Betrieb damals sehr viele Besucher hatte, bauten wir auch den Keller
im Wohnhaus Gubener Straße 9 zu Aufenthalts- und Verkostungsräumen um,
unter anderem mit einem dekorativen Kamin mit Grill.
Auch die Räume unterhalb der Mälzerei mit den Granitsäulen – sehr aufwändig
errichtete Gebäudeteile – ließ ich sanieren. Die Bauarbeiten zogen sich
insgesamt fast bis zur Wende 1989.“
Viele stadtbekannte Mandatsträger gingen hier des Öfteren ein und aus
und mit einem „Fläschchen“ in der Aktentasche nach Hause.
Auch an die Partnerbeziehung zu einer renommierten tschechischen
Brauerei und die regelmäßigen Besuchsfahrten dorthin erinnere ich
mich sehr gern zurück. Betriebsbesichtigungen mit zugehörigen
„Verkostungen“ wurden stets gut angenommen.
„Der Betrieb gehörte zu dieser Zeit zum VEB Bärensiegel.“
„Ja, die Spirituosenfabrik Frankfurt gehörte zum Kombinat Bärensiegel
in Berlin. Dass diese nach der Wende beginnende Absatzschwierigkeiten hatten,
ist bekannt. So trennte sich Bärensiegel Berlin sehr bald vom Frankfurter Standort.
Ein Betriebsteil, der vorher dem Hauptstandort oftmals aus der Planmisere
geholfen hatte! Denn Norbert Kubin, der damalige Betriebsleiter, hatte ein
sehr enges Verhältnis zu seinen Angestellten und konnte mit ihnen in sehr
vielen Wochenendschichten die Planrückstände für die Berliner wieder
gutmachen. Aber dieses Kapitel endete Anfang der 1990er Jahre.
Nach der Wende wurde ich Leiter der Denkmalbehörde in Frankfurt
und bin nun von anderer Warte wieder mit dem Objekt betraut.
Es war nämlich inzwischen an Berliner Investoren verkauft worden.
Und sie überraschten plötzlich damit, dass sie die Fenster vom Vorderhaus
ausgebaut und durch neue ersetzt hatten – man sieht es jetzt noch
im Obergeschoss des Geschäftshauses an der Gubener Straße.
Da dieser Eingriff ohne Erlaubnis stattgefunden hatte und das Objekt
damals ein Unterschutzstellungsverfahren zum Denkmal durchlief,
mussten wir Kontakt mit den neuen Eignern aufnehmen. Doch es konnte
kein Übereinkommen mit den Eigentümern erzielt werden. So wurden
die Bauarbeiten eingestellt und ein Genehmigungsverfahren eingeleitet.
Dabei blieb es dann auch, weitere Sanierungsarbeiten wurden nicht in
Angriff genommen. So verwahrloste der gesamte Gebäudekomplex
in den kommenden Jahren deutlich und ich war veranlasst, immer
neue Anhörungsverfahren gegenüber den Verantwortungsträgern
zu eröffnen.“
„Wer waren denn diese Eigentümer? Hat das nicht ein Investor gekauft,
der einen Sportpark errichten wollte?“
„Das hat die Henninger-Gruppe aus Berlin erworben, sie hatten
mehrere Immobilien im Umfeld gekauft oder neu errichtet.
Eines davon ist das City Park Hotel, was allerdings auf einer
Baubrache gebaut wurde. Man hatte damals größere Erweiterungen vor,
sie gingen meines Wissens fast bis zum Bahnhof hinauf. Man wollte
in die vorhandene Bausubstanz eine Schneise hineinbrechen,
um mit Gewerbe-Neubauten eine Art „Mall“ zu errichten, welche
die Frankfurter vom Bahnhof aus bis fast in die Innenstadt führen sollte,
mit Geschäften, gastronomischen Einrichtungen und so weiter.
Der Traum ist wahrscheinlich wegen mangelnder Rentabilitätserwartung
sehr schnell geplatzt und bauliche Erweiterungen bzw. Sanierungen
wurden nicht mehr durchgeführt. Das ist der traurige Zustand,
der nun seit einigen Jahren vorherrscht.
Aber seit die Objekte Gubener Straße 8 und 9 vor etwa zwei Jahren
verkauft wurden, tun sich erstmals wieder neue Chancen auf:
Ich führte im Vorfeld Gespräche mit der Brandenburgischen Technischen
Universität Cottbus und später auch mit dem Studiengang Schutz
Europäischer Kulturgüter der Universität Viadrina und machte dort
auf diese Invest-Brache aufmerksam.
Ich bin also im Grunde seit den 1980er Jahren ohne Unterlass
mit dem Komplex beschäftigt!“
„War die Stadt Frankfurt eigentlich zu einem Zeitpunkt Eigentümer
des Ferdinandshofs?“
„Der Besitz der IGEWO war in mehrere Kommanditgesellschaften
aufgeteilt, zu einer davon gehörten die Gebäude Gubener Straße 7, 8
und 9 – also das, was jetzt der Gewerbehof ist. Doch sie gerieten
in wirtschaftliche Schieflage, durch den Immobilienbesitz ergaben
sich ja praktisch keine Einnahmen. Ich glaube 2012 oder 2013 wurde
schließlich Insolvenz angemeldet. Die Insolvenzverwalter schrieben
dann, in Abstimmung mit der Stadt, diese Grundstücke aus,
um einen neuen Eigentümer zu finden. Dies gelang schließlich
mit einem Berliner Bauträgerunternehmen.
Die Stadt selbst kann nicht alle Grundstücke von in Schieflage
geratenen Eigentümern übernehmen. Aber in Abstimmung
mit der Denkmalbehörde und Sanierungsstelle versucht man schon,
behördlicherseits Prozesse anzuschieben bzw. auf solche
Problemfälle aufmerksam zu machen.“
„Stichwort Denkmal: Hat der Ferdinandshof Denkmalwert für Sie?
Oder wie begründen die Denkmalbehörden den Denkmalstatus?“
„Die denkmalrechtlichen Gutachten werden nicht von der kommunalen
Denkmalbehörde gemacht, sondern vom Brandenburgischen
Landesamt für Denkmalpflege, welches als Denkmalfachbehörde fungiert.
Der Denkmalstatus ist bereits 1991 oder 1992 ausgewiesen worden,
dafür gab es unterschiedliche Parameter. Dazu gehören unter anderem
der architektonische Wert der Anlage, der historische oder der
Denkmalwert als Industrieanlage.
Hier muss man in die Frankfurter Stadtgeschichte blicken:
Es begann mit der städtebaulichen Erweiterung nach Ende
des Dreißigjährigen Kriegs, als erste Wege und Pavillons entstanden,
zunächst hauptsächlich von der Lindenstraße sich nach Westen erstreckend,
bis hinauf zu den heutigen Bahnanlagen. Die dortigen, langgestreckten
Grundstücke wurden später der besseren Erreichbarkeit wegen zusätzlich
mit rückwärtigen Wegen versehen. Ein solcher war zum Beispiel
der Steinweg, welcher später zu einer Straße ausgebaut und auf beiden
Straßenseiten bebaut wurde – das war dann in etwa der Zustand
im 19. Jahrhundert. Mit der Industrialisierung wichen viele
Frankfurter Gewerbebetriebe, auch private Brauereien, die sich damals
auf innerstädtischen Grundstücken befanden und expandieren wollten,
in den neuen Freiraum der Gubener Vorstadt aus. Zudem konnten
sie ihr Bier gut in dafür errichteten Bierkellern lagern, welche
in die Hänge hineingebaut worden waren.
So kam es auch zum Bau der Schindler’schen Brauerei mit
repräsentativem Wohnhaus. Jetzt besitzt das Objekt zum Beispiel
den letzten, in Frankfurt noch erhaltenen viereckigen Industrieschornstein –
eine Bauform, die aufgrund von Weiterentwicklungen andernorts
meist verloren gegangen ist, aber sich an diesem Standort noch
erhalten hat und hier zur Bedeutung des Denkmalwerts beiträgt.“
„Die Weichen für die Zukunft sind mit dem neuen Investor nun
eigentlich gestellt, aber was wünschen Sie persönlich dem Objekt
in der Gubener Straße?“
„Es besteht jetzt Aussicht auf Rettung der Anlage! Es wird sich zeigen,
ob die Sache umsetzbar ist, denn es ist ein weiter Weg und ist ein großes
Vorhaben. Es verlangt eine gehörige Investition und ist letzten Endes
an eine Erwartungshaltung – die Refinanzierung – gebunden.
Und da steht man noch am Anfang. Aber ich schaue jetzt wieder
optimistischer in die Zukunft! Ich hoffe, dass die bauliche
Umsetzung noch in diesem Jahr beginnen kann. Für die Realisierung
der studentischen Wohnungen sind größere Fördersummen im Spiel
und diese müssen in entsprechenden Zeiträumen umgesetzt werden –
das ist eine recht anspruchsvolle Sache!
Insgesamt ist es eine vielschichtige Nutzungsvorstellung, die aus meiner
Sicht wünschenswert und richtig ist. Wir hoffen, dass sich diese Investitionen
so realisieren lassen und dass dort wieder Leben entsteht, denn die Lage
ist grandios. So war von Anfang an meine Vorstellung, dass die Studierenden
vom Bahnhof her herunter laufen, sie auf dieses Gelände zu locken und dort
verweilen zu lassen – z. B. in gastronomischen Einrichtungen oder durch
studentisches Wohnen.
Und dann gibt es noch die beiden repräsentativen Wohnhäuser.
Hierfür müssen Mieter gefunden werden, die sich eine große,
sanierte Wohnung leisten wollen.
Es gibt noch einige Fragen, die zu beantworten sind. Aber wie gesagt:
In meinem Traum funktioniert das Ganze – den habe ich über Jahrzehnte
gehabt! Und jetzt sind wir doch nahe dran, also toi toi toi!“
„Das wünschen wir als Projektgruppe dem Vorhaben auch!
Herr Dinse, vielen Dank für das Interview.“