DIE JAHRE 1933 BIS 1945

 


Die Jahre 1933 bis 1945 in der Gubener Straße 9

Im Frankfurter Adressbuch von 1933 waren zehn private Mieter in der Gubener Straße 9 gemeldet; neben der Bettfedernfabrik sind noch folgende Gewerbetreibende ansässig: Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG), Büro Frankfurt (Oder); der Bühnen-Volksbund, Ortsgruppe Frankfurt (Oder); das Frankfurter Federnhaus, Inhaber H. Richter; der Hausfrauenverein und die „1. Frankfurter Hausfrauen-Wäscherei“ sowie die seit 1922 dort befindliche Lackiererei Lehmpuhl.
 

Im Nachbarhaus, Gubener Straße 8, befand sich im gleichen Jahr unter anderem das Büro der NSDAP, Kreis Frankfurt (Oder). Daneben wohnte dort nach wie vor der Eigentümer Wolf und es befand sich auch das sogenannte Germania-Bad („sämtl. auch medizinische Bäder) auf dem Anwesen (dort seit 1927 im Adressbuch aufgeführt).
 

Am 27. August 1935 wurde auf Anweisung des Frankfurter Oberbürgermeisters „ein Verzeichnis der nichtarischen Firmen“ für alle Amtsstellen und Betriebe der Stadt angefertigt. Auf Seite 2 des Schreibens war unter „Fabriken“ auch die Norddeutsche Bettfedernfabrik erfasst.
 

Am 29. November 1935 schrieb Neumann an die Baupolizeibehörde, dass eine der Mietswohnungen von den Mietern auf eigene Kosten sanieren werden und die Herstellungskosten mit den Mieteinnahmen der nächsten drei Jahre abgeglichen werden solle. Er erklärte: „Ich erhalte für diese Jahre also keine Miete. Da ich wirtschaftlich nicht in der Lage bin, die von der Baupolizei geforderte Instandsetzung zu tragen, bin ich genötigt, sofern die jetzige Besitzerin der Wohnung sich nicht zur geforderten Herstellung [...] bereit erklären sollte, die Wohnung sperren zu lassen.“

Neumann war also vermutlich zu diesem Zeitpunkt schon finanziell schwer in Bedrängnis geraten.
 

Ebenfalls Ende 1935 verlegte der Autohändler Heinz Gehring (Hansa-Lloyd und Goliath) erst teilweise, 1936 dann ganz, seine „Verkaufsstelle für Automobile und Zubehörteile in die Gubener Str. 9“. Doch auch er hatte wenig Glück auf dem Neumann’schen Grundstück: 1936 forderte die Baupolizei den Umbau einer (vermutlich nicht genehmigten) Reparaturwerkstatt. Gehring antwortete, dass er die geforderten Veränderungen der Werkstatt nicht vornehmen könne, da er selbst nur Mieter sei und „dazu die Geldmittel fehlen.“ Bei Aufrechterhaltung der Zwangsmaßnahmen müsse er seinen Betrieb schließen und sieben Personen entlassen. Bis 1937 einigten sich beide Parteien nicht; Gehring konnte den geforderten Umbau finanziell nicht leisten und zog Ende 1937 aus.
 

Ein Jahr vorher, zur Jahreswende 1936/1937, wurde Neumann aufgefordert, sein „Reklameschild auf dem Hintergebäude“ zu entfernen, da „das Stadt- und Straßenbild gröblichst verunstaltet wird und ein Bedürfnis für ein derartiges Schild nicht [...] vorhanden ist.“

Dennoch gab er nicht auf. Im Juni 1937 schrieb er an die Abteilung Liegenschaften der Stadt, ob „für Wohnungen in meinem Hause Gubenerstrasse 9, Interesse besteht. Ich biete hierfür zunächst den linken Fabrikflügel an. Eine fachliche Beurteilung ergab die Schätzung für etwa 12 Wohnungen in drei Stockwerken mit je 3 Zimmern [...].“

Doch darauf erhielt er eine Absage, da der linke Fabrikflügel nur eine Fensterfront, noch dazu nach Norden besitze, und deswegen eine Durchlüftung der Wohnungen nicht möglich sei. Zu dem Schreiben gibt es eine handschriftliche Aktennotiz vom 12. 8. 1937, dass die Räume für die Hitlerjugend vorgesehen seien. Für die Neumann’sche Fabrik gab es also längst andere Pläne, von denen er noch nichts oder nur teilweise ahnte.
 

Etwa zur gleichen Zeit gab es Überlegungen, die gesamten „Gebäude des Grundstückes Gubener Straße 9 [...] zu Diensträumen für das Polizei-Präsidium“ umzubauen (Schreiben mit Kostenvoranschlag des Hochbauamtes in Frankfurt vom 10. 5. 1937, Brandenburgisches Landeshauptarchiv). Dabei sollten ca. 200 Diensträume für das Polizeipräsidium und die Geheime Staatspolizei entstehen, nebst Dienstwohnung für den Polizeipräsidenten, Verhörräumen sowie in den Gewölbekellern Sammelschutzräume etc. Dazu wären umfangreiche Umbaumaßnahmen nötig gewesen, die aufgelistet sind: völlige Entkernung der Fabrikgebäude, Abbruch von Maschinenhaus, Schornstein und Schuppen, Beseitigung des Hofgefälles durch Absenkung und gartenseitiger Anbau für die Dienstwohnung.

Letztlich waren die Umbaukosten zu hoch, die Planungen wurden nicht umgesetzt.
 

Etwa zur gleichen Zeit war eine andere NS-Organisation bei Neumann vorstellig geworden, denn er bat am 16. 8. 1937 die Baupolizeibehörde, die Baupläne seines Hauses dem Reichsarbeitsdienst zur Einsicht zu geben, da sich dieser um die Räumlichkeiten bemühe.

So geschah es schließlich, der Reichsarbeitsdienst, Arbeitsgau VIII Brandenburg Ost, Gruppe 83 Frankfurt (Oder), zog in die ehemalige jüdische Bettfedernfabrik ein.

 Im Frankfurter Adressbuch von 1937 sind in der Gubener Straße 9 neben Neumann als Eigentümer noch 17 verschiedene Mieter (Privatpersonen, Gewerbetreibende) zu finden, darunter nach wie vor die AEG und kurzzeitig auch das Koffer- und Lederwarengeschäft Schöppke sowie die Bauschlosserei Bierwagen.
 

Am 7. März 1938 brach in der Gubener Straße 9 ein Kleinfeuer in der Schneiderwerkstatt im ersten Stock aus [unklar, in welchem Gebäudeteil, Anm. d. Verf.]. Aus dem Brandbericht der Feuerlöschpolizei: „Durch ein eingeschaltetes Bügeleisen war eine Tischplatte in Brand geraten. Die Zugangstür wurde mittels Sperrzeug geöffnet und der Brandherd mit einer Eimerspritze abgelöscht. [...] Die Schneiderwerkstatt und die durch eine Bretterwand abgeteilte Schuhmacherwerkstatt waren stark verqualmt.“
 

In der Reichspogromnacht vom 9. auf 10. November 1938 verlor die Familie Neumann schließlich alles: Die Bettfedernfabrik wurde beschlagnahmt (aus der Villa in der Humboldtstraße 11 waren sie vermutlich schon eher ausgezogen). Siegfried Neumann wurde in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. (Ahlers, 2010)

Sein Sohn, Gerhard Neumann, bewarb sich als Ingenieurstudent etwa zur gleichen Zeit bei der amerikanischen Luftwaffe für einen Einsatz in China („Flying Tigers“). Sein Vater durfte kurz nach der Deportation wieder nach Frankfurt zurückkehren. Gerhard Neumann erinnerte sich an seine Abreise nach China: „Der Augenblick der Abfahrt vom Bahnhof Friedrichstraße in Berlin [...] kam im Mai 1939 – mit einem seltenen elterlichen Kuß und dem überflüssigen Rat: "Mach's gut!" Es war das letzte Mal, daß ich meinen Vater sah, er starb 1940 nach einer kleineren Operation an einem Blutgerinsel in einem Berliner Krankenhaus." (Neumann, 1989, S. 34)
 

Gerhard Neumanns Mutter konnte mit Hilfe der chinesischen Regierung noch rechtzeitig ausreisen und flog im Oktober 1940 zu ihrem Sohn nach Kunming und von dort weiter nach Jerusalem zu ihrer Tochter. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie, wie ihr Sohn, amerikanische Staatsbürger. (Neumann, 1989, S. 78)

 In das Grundbuchblatt der Gubener Straße 9 wurde am 20. Mai 1939 eine neue Eigentümerin eingetragen: „Ehefrau Elisabeth Sommerfeldt in Frankfurt/O.“. Ob Namenszufall oder konstruierte Absicht – der Name Sommerfeld/Sommerfeldt fand sich in früheren Jahren noch unter der Nachbar-Anschrift Gubener Straße 8 (Adressbücher 1922 und 1924). Im Adressbuch von 1940/41, dem letzten bis Kriegsende erschienenen, ist jedoch im alphabetischen Namensverzeichnis keine in Frankfurt (Oder) wohnhafte Elisabeth Sommerfeld aufgeführt, die mit der Gewerbeimmobilie Besitz in der Gubener Straße 9 in Verbindung gebracht werden könnte. Vermutlich diente der vorgeschobene Name dazu, die Inbesitznahme der Neumann'schen Fabrik zu verschleiern.

Als alleiniger Nutzer in der ehemaligen Bettfedernfabrik war im Adressbuch von 1940 der Reichsarbeitsdienst eingetragen – vermutlich bis Kriegsende 1945.

 Im Jahr 1943 wurde die Toreinfahrt und die Mauern links und rechts erneuert. Im August 1943 wurde ein „Antrag auf Ausnahme vom Bauverbot“ vom 27. 8. 1943 gestellt, zur

„Umwandlung von Diensträumen in Reichsmietwohnungen“. Dafür sollten im Erdgeschoss zwei und im Dachgeschoss eine Wohnung für RAD-Führer und ihre Familien eingerichtet werden. Die Bauerlaubnis wurde im September erteilt.
 

In einem der ehemaligen Brauereikeller wurde ein öffentlicher Luftschutzraum eingerichtet; im angrenzenden Kellertrakt beantragte der Reichsarbeitsdienst ebenfalls im August die „Errichtung eines Luftschutzraumes zur Unterbringung von Heildienstgeräten, Heilmitteln und wichtigen Krankenakten der Abt. Gesundheitsdiensts des Arbeitsgaues VIII.“
 

Mit diesen Bauanträgen im August 1943 endet die Überlieferung der baupolizeilichen Akten des Stadtarchivs Frankfurt (Oder).
 

 

 

Literatur


Käferstein, Martin (2016): Historische Grundbücher als Informationsquelle für die Bauforschung am Beispiel der Grundbuchblätter Gubener Straße 8-9 in Frankfurt (Oder).
Hausarbeit im Fach Bau- und Kunstgeschichte, Masterstudiengang Schutz Europäischer Kulturgüter, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).

Neumann, Gerhard (1989): China, Jeep und Jetmotoren. Vom Autolehrling zum Topmanager, Planegg.


 

Sonstige Quellen

 Ahlers, Dorothee (2010): Jüdische Unternehmer in der Zwischenkriegszeit – Bettfedernfabrik Neumann. Veröffentlicht im Internet, URL: http://www.juedischesfrankfurtvirtuell.de/de/de_M.html (Abfrage: 1. 2. 2017).
 

Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 105 K II AG FfO GB FfO Gubener Vorstadt, Bd. 4.

Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 27 A, Fff/O I 22.
 

Stadtarchiv Frankfurt (Oder), BA I, XV, Baupolizeiakte Gubener Straße 9, Bd. 1, 1851-1933.
 

Stadtarchiv Frankfurt (Oder), BA I, XV, Baupolizeiakte Gubener Straße 9, Bd. 2, 1928-1944.
 

Stadtarchiv Frankfurt (Oder), BA I, XVII 12, „Verzeichnis der nichtarischen Geschäfte und Inhaber von freien Berufen“ vom 17. Aug. 1935.
 

Stadtarchiv Frankfurt (Oder), BA III, Archivbibliothek, II 408, Wohnungs- und Adressbücher 1846-1940/41.