Schriftzug der Bettfedernfabrik am Giebel des Seitengebäudes; Foto: Martin Käferstein, 2015.
Der Frankfurter Kaufmann Siegfried Neumann erwarb im April 1921 das Grundstück Gubener Straße 9. Vorbesitzer war Wilhelm Schindler, Brauereieigentümer in Frankfurt (Brandenburgisches Landeshauptarchiv).
Neumann war seit 1912 Inhaber der Norddeutschen Bettfedernfabrik in der Großen Scharrnstraße 48 in Frankfurt (Oder). Da sich die Geschäftslage gut darstellte, konnte er etwa zehn Jahre später expandieren und verlegte die Produktion 1921/1922 in die Gubener Straße 9 (Ahlers, 2010). Er selbst wohnte mit Familie in seiner Stadtvilla in der Humboldtstraße 11.
Gerhard Neumann, Siegfried Neumanns Sohn, erinnerte sich in seiner 1989 erschienenen Biographie an die Gubener Straße:
„Die 1860 gegründete Norddeutsche Bettfedernfabrik war eine der beiden größten deutschen Federn- und Daunenlieferanten geworden; die Ware wurde in osteuropäischen Geflügelfarmen von Ungarn bis hinauf nach Finnland gerupft. Die Federn wurden zuerst in gigantischen Waschmaschinen gereinigt, getrocknet und dann der Größe nach sortiert; dies geschah in miteinander verbundenen Glaskammern mit senkrechten Trennwänden, durch die ein sanfter Luftstrom blies. [...] Riesige Vakuumpumpen saugten spezielle Mischungen von Daunen und Federn in große Säcke, zum Versand an Steppdecken- und Kissenhersteller. Während der Reinigung stanken die nassen Federn buchstäblich so zum Himmel, daß ich einer Sache ganz sicher war: Für mich gab es kein Federngeschäft!“ (Neumann, 1989, S. 19)
Gerhard Neumann schrieb auch über seine Eltern: „Beide waren jüdischer Geburt, ohne jedoch die jüdische Konfession zu praktizieren. Sie betrachteten sich eher als ‚jüdische Deutsche’ denn als ‚deutsche Juden’. [...] Nach dem Waffenstillstand im November 1918 kehrte Papa wieder in seinen Beruf zurück. [...] Während der einundzwanzig Jahre, die ich in Deutschland war, sah ich wenig von meinem Vater; dessen ganzes Leben drehte sich um sein Geschäft [...].“ (Neumann, 1989, S. 19)
Aus den baupolizeilichen Akten des Stadtarchivs Frankfurt (Oder) geht hervor, dass Siegfried Neumann schon kurz nach Erwerb der Liegenschaft einzelne Gebäudeteile den neuen Bedürfnissen anpassen ließ. So beantragte er noch im April 1921 den Umbau des Quergebäudes (ehemaliges Brauhaus). Dort sollten im ersten und zweiten Obergeschoss Kontorräume entstehen.
Es folgten weitere Bauanträge: im April 1922 zur Aufstockung der Holztenne an der Rückseite des ehemaligen Brauhauses um einen Meter.
Im Frankfurter Adressbuch von 1922 waren unter der Gubener Straße 9 neben der Bettfedernfabrik sehr viele weitere Gewerbetreibende aufgeführt:
Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG), Büro Frankfurt (Oder); eine Geschäftsstelle der Deutschen Volkspartei (DVP), die Lackiererei Lehmpuhl, der Schreibmaschinenvertrieb Wilhelm Schuhmacher, die Tischlerei Stark, ein Geschäft für Handels- und Industriebedarf sowie der Kraftdroschkenbetrieb Willi Zeuke. Als Privatmieter sind fünf Namen genannt, darunter eventuell noch der Vorbesitzer Wilhelm Schindler (im Adressbuch: „Schindler, W., Kaufmann“).
In der Gubener Straße Nr. 8 betrieb der dort wohnhafte Eigentümer Wolf auch sein Geschäft, eine Wäscherei. Zudem waren mehrere Privatmieter dort gemeldet, unter anderem der Kaufmann Sommerfeld ( darauf wird an späterer Stelle noch einmal eingegangen).
1923 sollte im ersten Stockwerk des Quergebäudes der Bettfedernfabrik eine Wohnung eingerichtet sowie die Remise umgebaut werden. Im Januar 1925 wurde die Aufstellung eines neuen Dampfkessels im alten Maschinen- und Kesselhaus genehmigt. Im November 1928 erhielt Neumann die Erlaubnis zur Aufstockung des ehemaligen Schindler’schen Brauhauses (Gebäudeteil hinter dem Schornstein) um ein weiteres Geschoss zur Nutzung als Lagerraum für Bettfedern.
Etwa einen Monat später, im Dezember 1928, kam es zu Unstimmigkeiten wegen einer weiteren von Neumann geplanten Aufstockung: der des hinteren Anbaus zum Garten hin (ehemalige Tenne). Die Stadt lehnte mit folgender Begründung ab: „Das Neumann’sche Grundstück stösst mit seinem Hintergelände an den Klengsberg [richtig: Klenksberg, Anm. d. Verf.]. An dieser Stelle ist die neue Durchbruchstrasse zum kleinen Wilhelmsplatz [heute: Zehmeplatz, Anm. d. Verf.] projektiert, sodass das Grundstück künftig zwei vollwertige Strassenfronten hat. [...] Die beabsichtigte Reklame müsste dann am Giebel des aufgestockten Teiles in der bereits vorgeschlagenen Weise angebracht werden. Das Gesamtbild der ganzen Gruppe würde auf diese Weise erheblich günstiger werden [...].“
Die Aufstockung des rückwärtigen Gebäudeteils wurde nicht realisiert, wohl aber das Reklameschild auf dem Dach, an dem sich die Frankfurter Bevölkerung bald empörte:
„Schutz dem Stadtbilde! [...] Wenn man früher vom Bahnhof her den Weg über den Kiliansberg nahm, hatte man vom Bahnhofsplatze aus und weiterhin den Ausblick auf das herrliche Odertal, der jeden Besucher Frankfurts an der Oder entzücken mußte. Dieser Ausblick ist längst zum größten Teil durch ein in dieser Gegend allein dastehendes Fabrikunternehmen, das von Jahr zu Jahr seine Gebäude um ein Stockwerk erhöht, gestört worden. Zu Ende des letzten Sommers wurde der Rest der Aussicht aber noch durch ein überaus großes, in die Augen fallendes Reklameschild verdeckt. [...] Sollte die Polizeibehörde wirklich keine Möglichkeit haben, gegen derartige Mißgriffe des Reklamewesens einzuschreiten? [...]“ (Frankfurter Oder-Zeitung, 1929).
Es kam zu einem Hin und Her zwischen Neumann und der Baupolizeiverwaltung um Kompromisse zum Schild. Man konnte sich nicht einigen, und so beließ Neumann das Schild einfach ohne Überarbeitung auf dem Dach (Aktennotiz der Baupolizeiverwaltung 1932).
Am 24. 10. 1930 erschien ein kurzer Artikel mit dem Titel „70 Jahre Norddeutsche Bettfedernfabrik“ in der Frankfurter Oder-Zeitung:
„Am 30. Oktober kann die Frankfurter Norddeutsche Bettfedern-Fabrik Siegfried Neumann, Gubener Straße 9, auf ein siebzigjähriges Bestehen zurückblicken. Die Firma, im Jahre 1860 in Frankfurt (Oder) gegründet, nahm als einer der ersten im Osten Deutschlands die Bearbeitung von rohen Federn mit Handbetrieb vor, später wurde eine durch Kohlenheizung zu erwärmende Reinigung eingeführt. Seit 20 Jahren ist die Firma im Besitz des jetzigen Inhabers, Siegfried Neumann, und zu einer hohen Entwicklung gelangt. Jetzt werden auf technisch neuesten Sortier-Waschmaschinen und Trockners die teils aus dem benachbarten Oderbruch, teils aus dem Auslande herrührenden rohen Federn ausgiebig gewaschen und bearbeitet. Zu vielen Großstädten des Reiches sind Vertreter mit dem Vertrieb der Produktion an die Geschäfte beschäftigt.“
Aufgestockter Trockenboden im Seitengebäude; Foto: Schuster Architekten.
Literatur
Käferstein, Martin (2016): Historische Grundbücher als Informationsquelle für die Bauforschung am Beispiel der Grundbuchblätter Gubener Straße 8-9 in Frankfurt (Oder). Hausarbeit im Fach Bau- und Kunstgeschichte, Masterstudiengang Schutz Europäischer Kulturgüter, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).
Neumann, Gerhard (1989): China, Jeep und Jetmotoren. Vom Autolehrling zum Topmanager, Planegg.
Sonstige Quellen
Ahlers, Dorothee (2010): Jüdische Unternehmer in der Zwischenkriegszeit – Bettfedernfabrik Neumann. Veröffentlicht im Internet, URL: http://www.juedischesfrankfurtvirtuell.de/de/de_M.html (Abfrage: 1. 2. 2017).
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 105 K II AG FfO GB FfO Gubener Vorstadt, Bd. 4.
Stadtarchiv Frankfurt (Oder), BA I, XV, Baupolizeiakte Gubener Straße 9, Bd. 1, 1851-1933.
Stadtarchiv Frankfurt (Oder), BA I, XV, Baupolizeiakte Gubener Straße 9, Bd. 2, 1928-1944.
Stadtarchiv Frankfurt (Oder), BA III, Archivbibliothek, II 408, Wohnungs- und Adressbücher 1846-1940/41.
Stadtarchiv Frankfurt (Oder), BA III, Archivbibliothek, Frankfurter Oder-Zeitung, 17. Okt. 1929, „Schutz dem Stadtbilde!“.
Stadtarchiv Frankfurt (Oder), BA III, Archivbibliothek, Frankfurter Oder-Zeitung, 24. Okt. 1930, „70 Jahre Norddeutsche Bettfedernfabrik“.